Europa, die EU, der Euro was sagt uns das heute? Nach der Finanzkrise, der Griechenlandkrise, der Flüchtlingskrise, dem Brexit sind wir nun in der Covid-19 Krise. Der Umstand, dass im Corona-Faden das Thema der sogenannten "Coronabonds" aufgekommen ist nehme ich mal zu Anlass diesen Faden zu eröffnen, da ich einen solchen hier bereits ein bisschen vermisst habe, weil mir immer mal etwas dazu einfiel. Also, alle denen was zu Europa, der EU und dem Euro einfällt, schreibt 😁
Vor dem Hintergrund der ganzen Krisen in den letzten Jahren stellt sich vielen die Frage nach der Zukunft der EU und auch nach der Zukunft des Euro. Auch wenn hinsichtlich der Zukunft des Euro zumindest nach meiner Auffassung einige dunkle Wolken und Gewitterböen (wenn nicht gar Orkane) zu erwarten sind, so bin ich doch in Bezug auf die EU als solche eher optimistisch gestimmt. Auch wenn es immer mal wieder kracht und heftig rumpelt, so ist das Baby EU meiner Meinung nach noch recht lebendig.
Apropos heftig rumpeln😁. Diesmal rumpelte es aus deutscher Richtung. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat - um es etwas bildlich auszudrücken - sein schwerstes Geschütz gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH) abgefeuert und hat eine Entscheidung des EuGH als Ultra Vires Akt qualifiziert. Kurz gesagt wird von einem Ultra Vires Akt gesprochen, wenn eine getroffene Entscheidung außerhalb der Kompetenzen der entscheidenden Stelle liegt, hier außerhalb der Kompetenzen des EuGH. Inhaltlich ging es um das durch mehrere EZB-Beschlüsse aufgesetzte Public Sector Purchase Programme (PSPP), ein Staatsanleihekaufprogramm, in dessen Rahmen die EZB Staatsanleihen der Euro-Mitgliedstaaten in Höhe von über zwei Billionen Euro auf dem Sekundärmarkt erworben hat. Einen von manchen vermuteten Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung erblickt das BVerfG hierbei allerdings nicht. Der Schwerpunkt des BVerfG-Urteils liegt woanders, nämlich auf der Prüfung, ob das Programm noch vom Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 EUV) und dem währungspolitischen Mandat der EZB gedeckt ist. Das hört sich jetzt etwas abstrakt an, letztlich geht es um das Demokratieprinzip.
Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung dürfen die Organe, Einrichtungen etc. der EU nur in dem Rahmen handeln, in welchen sie durch die europäischen Verträge hierzu ausdrücklich ermächtigt sind. Da die EU also nicht eigenmächtig Kompetenzen an sich ziehen kann, besitzt sie keine sogenannte Kompetenz-Kompetenz. Der Europäische Gerichtshof hat das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung in seiner Rechtsprechung im Grundsatz seit langem ausdrücklich bestätigt. Allerdings legen die EU-Richter die rechtlichen Grundlagen, wie sie in den Verträgen für ein Tätigwerden der EU enthalten sind, nach dem Prinzip des "effet utile" (übersetzt: wirksame Durchsetzung) meist weit aus und verschaffen so der EU ein breites Betätigungsfeld. Insbesondere die Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB ) mit ihrer eigenen Unabhängigkeit sind hier zum Zankapfel geworden.
Nun gut, man könnte jetzt sagen: Was soll's, Juristen streiten halt gerne, aber etwas mehr ist schon dran. Das neben dem US Supreme Court wohl angesehenste und einflussreichste Verfassungsgericht der Welt, nämlich das BVerfG, weist das Oberste Gericht der EU, den EuGH mit recht unkuscheligen Worten in die Grenzen. Ich zitiere mal nur aus dem Tenor:
Der mit der Funktionszuweisung des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV verbundene Rechtsprechungsauftrag des Gerichtshofs der Europäischen Union endet dort, wo eine Auslegung der Verträge nicht mehr nachvollziehbar und daher objektiv willkürlich ist. Überschreitet der Gerichtshof diese Grenze, ist sein Handeln vom Mandat des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz nicht mehr gedeckt, so dass seiner Entscheidung jedenfalls für Deutschland das gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 und Art. 79 Abs. 3 GG erforderliche Mindestmaß an demokratischer Legitimation fehlt.
Bei der Berührung fundamentaler Belange der Mitgliedstaaten, wie dies bei der Auslegung der Verbandskompetenz der Europäischen Union und ihres demokratisch legitimierten Integrationsprogramms in der Regel der Fall ist, darf die gerichtliche Kontrolle die behaupteten Absichten der Europäischen Zentralbank nicht unbesehen übernehmen.
[...]
- a) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten und die damit verbundene wertende Gesamtbetrachtung besitzen ein für das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Volkssouveränität erhebliches Gewicht. Ihre Missachtung ist geeignet, die kompetenziellen Grundlagen der Europäischen Union zu verschieben und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zu unterlaufen.
[...]
Bundesregierung und Bundestag sind aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die Europäische Zentralbank hinzuwirken. Sie müssen ihre Rechtsauffassung gegenüber der Europäischen Zentralbank deutlich machen oder auf sonstige Weise für die Wiederherstellung vertragskonformer Zustände sorgen.
Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte dürfen weder am Zustandekommen noch an Umsetzung, Vollziehung oder Operationalisierung von Ultra-vires-Akten mitwirken. Das gilt grundsätzlich auch für die Bundesbank. [...]
Zur Erinnerung, es ging um eine bestimmte Maßnahme der Europäischen Zentralbank (EZB ). Um diese für ultra vires erklären zu können, musste das BVerfG zunächst die entgegenstehende und auch für das BVerfG bindende Entscheidung des EuGH beiseite schieben. Dies ist aber nur möglich, wenn das Urteil des EuGH ebenfalls als ultra vires anzusehen ist. Und das ist genau der Vorwurf des BVerfG gegenüber dem EuGH.