Nach den Ermittlungen von Sonderermittler Mueller, die trotz haarsträubender Ergebnisse und auch tatsächlicher Verurteilungen nicht an der Präsidentschaft von Donald Trump zu rütteln vermochten hatten sich wohl die meisten von uns damit abgefunden, dass größere Teile der US-amerikanischen Gesellschaft gewillt waren, Trump wenn nicht aktiv zu unterstützen, so doch zumindest als unabwendbares Schicksal hinzunehmen.
Auch die Einleitung von Anhörungen im Vorfeld eines eventuellen Amtsenthebungsverfahrens war seitens der Demokraten (in Person von Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses) zunächst immer wieder zurückgewiesen worden aus Angst, dass auch diese wieder im Sande verlaufen würden und der Demokratischen Partei am Ende sogar schaden könnten. Geändert hat sie ihre Meinung (und mit ihr viele weitere Demokraten) erst, als ein Whistleblower über ernsthaften Amtsmissbrauch des Präsidenten berichtete.
Was steht im Raum?
Mitte September wurde bekannt, dass ein Whistleblower dem Generalinspekteur der Geheimdienste gegenüber Besorgnisse geäußert hatte, dass Trump einem ausländischen Staatsführer unangemessene Versprechungen gemacht habe. Entgegen üblicher Abläufe wurde der Inhalt der Beschwerde nicht zeitnah an den Kongress weitergeleitet. Medien erfuhren trotzdem über weitere Details:
Die Zeit: Trump soll von Ukraine Informationen über Bidens Sohn gefordert haben
US-Präsident Donald Trump hat mehreren US-Medien zufolge am 25. Juli mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert: Dabei soll er mehrfach verlangt haben, kompromittierende Informationen über Hunter Biden herauszugeben. Hunter ist der Sohn von Joe Biden, der sich gerade um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten bewirbt und gute Chancen hat, Trumps Herausforderer bei der Wahl 2020 zu werden.
Trump stellte laut der Beschwerde also keine Forderungen zum Wohl seines Landes, sondern zu rein persönlichen Zwecken, zur Hilfe in seinem 2020-Wahlkampf gegen den vermuteten gefährlichsten Gegner Joe Biden, Vizepräsident unter Barack Obama.
Brisant: Trump soll Selenskyj massiv genötigt und dabei sein Amt missbraucht haben. An einen für Selenskyj wichtigen Empfang im Weißen Haus sei laut Trump erst zu denken, wenn dieser Trumps Forderungen nachkomme. Noch schwerwiegender: Trump hatte vom Kongress bereits bewilligte Militärhilfe zur Abwehr russischer Aggressionen in der Ostukraine vorerst zurückgestellt und soll deren Freigabe ebenfalls von Selenskyjs Kooperation abhängig gemacht haben.
Ein solches Quid pro Quo (lat. „dies für das“), also eine persönlich bereichernde Gegenleistung für die Ausübung des Amtes in einer für die andere Seite vorteilhaften Weise, ist natürlich ein klarer Amtsmissbrauch und ein Grund für eine Amtsenthebung.
Letztlich kam es so zu ersten Ermittlungen im Vorfeld eines möglichen Impeachment-Verfahrens, die Anhörungen erfolgen im Geheimdienstausschuss unter dem Vorsitz des Demokraten Adam Schiff.
Die Verteidigungsstrategie der Republikaner bestand zum einen in der Zurückweisung der Glaubwürdigkeit von Zeugen („alles nur Hörensagen“), zum anderen in bekannten Nebelkerzen („Hexenjagd der Demokraten“). So forderte Trump z.B., die Identität des Whistleblower zu lüften, obwohl diese laut Gesetz einen besonderen Schutz genießen, außerdem schimpfte er, dass er sich nicht verteidigen dürfe (das sieht ein solcher Untersuchungsausschuss nicht vor), ziert sich aber (verständlicherweise) gleichzeitig, unter Eid vor dem Ausschuss auszusagen.
Die Demokraten unter Führung von Schiff verfolgten dabei eine bewährte Strategie: Man arbeitet sich von außen kommend Schritt für Schritt an Trump heran. Der Whistleblower, der wirklich nur aus dritter Hand berichten konnte, war dabei als Zeuge gar nicht wichtig, er gab aber Hinweise, wen man sich als nächstes vornehmen sollte.
Wikipedia: Impeachment inquiry against Donald Trump
These allegations have been corroborated by many witnesses, including U.S. top-envoy-to-Ukraine Bill Taylor, Laura Cooper (the top Pentagon official overseeing Ukraine-related U.S. policy), former White House official Fiona Hill and at least six additional White House officials.
Direkte Hinweise auf Trumps Agieren gab zunächst lediglich das vom Weißen Haus selbst veröffentlichte Transscript des Telefonats Trumps mit Selenskyj. Für einen neutralen Beobachter als sehr bedenklich einzustufen, bestand Trump aber darauf, dass dieses nicht als Druck auf Selenskyj anzusehen sei. Selenskyj, der es sich im Interesse seines Landes natürlich auch nicht mit Trump verderben mag, gab pflichtbewusst zu Protokoll, sich nicht unter Druck gesetzt gefühlt zu haben. Das wirkt natürlich nicht sehr überzeugend, trotzdem fehlten noch handfestere Beweise.
Heute nun folgte die Aussage unter Eid von Gordon Sondland, seines Zeichens 2016 Großspender an Trump und zum Dank mit dem neugeschaffenen Posten des US-Botschafters bei der EU belohnt. Sondland war zum einen tief verstrickt in Trumps Machenschaften, zum anderen hatte er im Gegensatz zu früheren Zeugen direkten Kontakt zu Trump. Er konnte Trump somit schwer belasten.
The Guardian: Sondland's bombshell testimony blows holes in Trump's Ukraine defence
A star witness at the impeachment inquiry has delivered a devastating blow to Donald Trump, testifying about the existence of a quid pro quo with Ukraine and insisting: “We followed the president’s orders.”
[...]
“I know that members of this committee have frequently framed these complicated issues in the form of a simple question: Was there a ‘quid pro quo?’” the ambassador said. “As I testified previously, with regard to the requested White House call and White House meeting, the answer is yes.”
Die Sache hatte aus Sicht des Untersuchungsausschusses lediglich einen kleinen Schönheitsfehler:
“Mr Giuliani’s requests were a quid pro quo for arranging a White House visit for President Zelenskiy,” Sondland said. “Mr Giuliani demanded that Ukraine make a public statement announcing investigations of the 2016 election/DNC server and Burisma. Mr Giuliani was expressing the desires of the president of the United States, and we knew that these investigations were important to the president.”
Aber Sondland gab auch zu Protokoll, dass er die Verknüpfung der militärischen Hilfe seitens der USA an die Erfüllung von Trumps Forderungen nur von Giuliani mitgeteilt bekam, nicht von Trump persönlich. Als er schließlich Trump auf seine Bedenken ansprach, das war nach dem Eingang der Whistleblower-Beschwerde, war Trump inzwischen klar geworden, dass er jegliches Quid pro Quo zu bestreiten hatte:
TrendingPolitics: Trump Told Sondland, "I Want Nothing. I Want No Quid Pro Quo"
“I finally called the president, I believe it was on the 9th of September, I can’t find the records and [the State Department] won’t provide them to me, but I believe I just asked him an open-ended question, Mr. Chairman,” Sondland said to House Intelligence Committe Chairman Adam Schiff.
Sondland revealed to Schiff that he asked President Trump: “What do you want from Ukraine? I keep hearing all these different ideas and theories and this and that. What do you want?”
“It was a very short abrupt conversation, he was not in a good mood, and he just said, ‘I want nothing. I want nothing. I want no quid pro quo. Tell Zelensky to do the right thing,’ something to that effect,” Sondland said.
Trump zitierte heute Sondlands Zitat aus seiner (Trumps) Antwort in diesem Telefonat zu seiner (Trumps) Verteidigung, bizarr.
Davon abgesehen aber enthielt Sondlands Aussage ordentlich Sprengkraft:
Aus dem obigen Guardian-Artikel
Sondland adamantly denied involvement in “some irregular or rogue diplomacy” that departed from White House policy, claiming that he kept state department and National Security Council officials informed of his activities.
“Everyone was in the loop,” Sondland told the hearing. “It was no secret.”
This included the vice-president, Mike Pence, the secretary of state, Mike Pompeo, and acting chief of staff Mick Mulvaney.
Genug Gründe für weitere brisante Anhörungen. Insbesondere fragt man sich, wie sich Rudi Giuliani aus der Schlinge ziehen will, die sich inzwischen fest um seinen Hals gelegt hat. Wird er Trump belasten oder alles auf sich nehmen (was noch nicht einmal glaubwürdig erschiene) und auf eine Begnadigung durch Trump hoffen? Dazu eine vor wenigen Tagen getätigte, vordergründig scherzhaft erscheinende Bemerkung Giulianis:
The Hill: Giuliani jokes he has 'very good' health insurance if Trump throws him under the bus
President Trump's personal attorney Rudy Giuliani says in a new interview that he isn't worried about the prospect of the president turning on him, but joked that he has "very good insurance" in the event that he does.
Das kann man auch so deuten, als habe Giuliani noch einiges in der Hand gegen Trump, sollte der ihn fallen lassen. Wer Giuliani kennt, kann sich kaum vorstellen, dass dieser sich nicht abgesichert habe.