Ich habe es bisher so aufgefasst, dass das Referendum alleine nicht zu so drastischen Strafen geführt hätte, entscheidender war der daraufhin erfolgte tatsächliche Unabhängigkeitsbeschluss. Damit sah die spanische Zentralmacht und -justiz eine Notwendigkeit, hart durchzugreifen.
Ich bin allerdings der Meinung, dass die Richter mit diesem Urteil die Befriedigung des Landes offenbar ganz aus den Augen verloren haben. Allein mit juristischen Mitteln ist das Unabhängigkeitsbedürfnis eines Teils der Bevölkerung nicht dauerhaft auszuschalten, das geht nur durch ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen. Eine solche Chance wurde hier durch die Zentralmacht vertan.
Die interessantere Frage ist aber eher ethischer Natur als juristischer. Was spräche dafür und was dagegen, einem beliebigen Teil der Bevölkerung das Recht auf Unabhängigkeit zu verweigern. Der Wunsch in Großbritannien nach einem Brexit ist ja auch eine Unabhängigskeitsbewegung gegenüber der EU genauso wie die der Schotten gegenüber dem UK. Pikanterweise sind die härtesten Befürworter eines Brexit oftmals auch vehemente Gegner einer schottischen Unabhängigkeit.
Interessant auch das Beispiel Tschechoslowakei. Da haben sich zwei Landesteile friedlich zur Sezession entschieden, nur um dann unter dem Dach der EU wieder "vereint" zu werden. Und es scheint alle Beteiligten zufriedenzustellen.
Ich sehe auch nicht eine Lawine an Abspaltungen heranrollen, sollte das Recht auf Sezession zunehmend als ethisch geboten begriffen werden, denn so wie es gute Gründe gibt, sich in einem größeren Bund wie der EU zusammenzuschließen, gibt es die gleichen Gründe, nicht in wirtschaftlich instabile Kleinstgruppen zu zerfallen.