Timbatuku Mein Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat ist sehr groß, aber damit gehöre ich offenbar zu einer Minderheit.
Mein Vertrauen ist ebenfalls sehr groß, insbesondere deshalb, weil ich mich frage, was die Alternative sein soll. Ähnliches gilt doch für Mediziner. Es gibt Behandlungen, da sind selbst bei den Koryphäen ihres Fachs die Ergebnisse durchwachsen. Sollte ich ihnen deshalb nicht vertrauen? Was bliebe denn als Alternative?
Man lernt als Jurastudent im ersten Semester, dass Recht und Gerechtigkeit zwei verschiedene Paar Schuhe sind, und wenn die Diskrepanz zwischen beiden unerträglich wird, ist die Politik gefragt, nicht die Justiz.
Wie kommt es, dass so viele Menschen das Vertrauen in unseren Rechtsstaat verloren haben? [...] Oder sind so viele Menschen einfach nur negativ beeinflusst worden durch Medien, durch Gespräche im Bekanntenkreis, etc.?
Ich denke, die Medien tragen einen nicht geringen Anteil, bedingt durch ihre Jagd nach immer neuen und extremeren Schlagzeilen. Eine differenzierte Betrachtung eines juristischen Falls lässt sich in den heute üblichen Nachrichtenfetzen nicht mehr unterbringen, und schon die bloße Erwähnung relativierender Umstände könnte die Explosivität einer Nachricht schwächen und wird deshalb ausgespart. Die Menschen verlangen nach einfachen Wahrheiten und scheuen vor komplexen und differenzierenden Analysen zurück. Ein Angeklagter soll schuldig sein oder unschuldig, eingeschränkt schuldig oder unschuldig wegen Mängeln in der Beweislage, das lässt die meisten Betrachter verunsichert zurück.
Aber was wäre die Alternative? Wenn ich unserem Rechtsstaat nicht traue, welchen würde ich mir statt dessen wünschen, und gibt es diesen von mir erwünschten Rechtsstaat irgendwo bereits?
esta1 Zum Beispiel erinnere ich mich an einem Fall, ein oder zwei Jahre her. Auf dem Oktoberfest haben besoffene junge Männer eine junge Frau angegriffen, eine andere Frau ist dazwischen gegangen und hat wohl einen der Männer ordentlich eine verpasst. Daraufhin wurde diese Frau von den Männern verklagt, leider weiß ich nicht mehr was das Strafmaß war, ich weiß nur noch das ich baff war weil mir das Verhältnismäßig hoch vorkam. Die beiden jungen Männer sind straffrei ausgegangen, es wurde ja niemand vergewaltigt 🙄.
Ich vermute, Du kennst den Fall nur aus der Presse, richtig? Es stellt sich hier die Frage, worin dieser Angriff der betrunkenen Männer bestand. War es ein verbaler Angriff, eine Rempelei, ein Faustschlag? Sie werden ja nicht deshalb straffrei ausgegangen sein, nur weil sie die Frau nicht vergewaltigt haben. Zudem wissen wir nicht, in welcher Form die Frau dazwischen gegangen ist und welche Alternativen sie gehabt hätte. Das wäre aber wichtig zu wissen, um die Verhältnismäßigkeit ihres Tuns zu bewerten. Und wenn hier die Presse so verkürzt berichtet hat, wie sie das oftmals tut, dann ergeben sich schnell Verständnisprobleme. Und wenn dann ein Blatt vom anderen abschreibt und womöglich durch entsprechende Formulierungen das Empörungsniveau noch weiter anheizt, dann entsteht beim Leser schnell der Eindruck, dass unser Rechtsstaat marode wäre.
In einem Bericht im Fernsehen wurde mal erklärt das Menschen mit viel Geld und Einfluss sich das Recht zu ihrem Gunsten drehen können. Leider kann ich das jetzt nicht wieder geben, es klang für mich damals aber plausibel.
Menschen mit Geld können sich die teuersten Anwälte leisten und so mehr ausnutzen von dem, was der Rechtsstaat an Möglichkeiten bietet. Das mag auf den ersten Blick irritieren, ich wüsste aber nicht, wie man das ändern sollte. Das Recht drehen können sie deshalb aber noch lange nicht. Dass die wirtschaftlichen Eliten sich unfaire Vorteile verschaffen können, ist zwar nicht falsch, aber das findet nicht primär in der Justiz statt, sondern in der Gesetzgebung. Ein Wort mehr oder weniger in den verabschiedeten Paragraphen bindet dann die gesamte Justiz und führt zu Entscheidungen, die niemand nachvollziehen mag.