Timbatuku Du kannst mir gerne eine gewisse Staatsgläubigkeit vorwerfen. Dazu stehe ich und finde es nicht mal abwertend. Andere glauben an den freien Markt, dem ich wiederum nur in engen Grenzen vertraue. Nach meiner Ansicht sollte alles, was die Grundversorgung der Bevölkerung beinhaltet, dazu zähle ich u.a. Trinkwasserversorgung, Energieversorgung (Haushalt), und eben das Gesundheitswesen, staatlich organisiert sein. In dem Punkt bin ich auf einer Linie mit Sarah Wagenknecht, die das in ihrem Buch "Freiheit statt Kapitalismus" sehr gut begründet, wie ich finde.
Ich glaube wir liegen gar nicht mal so weit auseinander, obwohl ich einige Schwierigkeiten mit Sarah Wagenknecht habe. Und das gewiss nicht, weil ich kein Anhänger von Freiheit und Selbstbestimmung oder nicht sozial eingestellt wäre, mich überzeugen schlicht ihre Lösungsansätze nicht. Aber gut, an den reinen "freien Markt" glaube ich auch nicht, aber weder haben wir diesen, noch halte ich ihn für erstrebenswert. Die Grundidee der sozialen Marktwirtschaft, erweitert um eine ökologische Komponente hat schon sehr viel für sich. Müller-Armack hat es in der Gründerzeit der Bundesrepublik mal ungefähr so formuliert:
Es ist die Aufgabe der sozialen Marktwirtschaft, die divergierenden Zielsetzungen soziale Sicherheit und wirtschaftliche Freiheit zu einem befruchtenden Ausgleich zu bringen. Ihr richtungsweisende Sinn ist es, das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem Prinzip des sozialen Ausgleichs zu verbinden, so dass die soziale Marktwirtschaft ein friedenstiftender Weg ist, der versucht, die Ideale der Gerechtigkeit, der Freiheit und des wirtschaftlichen Wachstums in ein vernünftiges, den Menschen dienendes Gleichgewicht zu bringen.
Bedauerlicherweise hat es hierin bei uns einige üble Auswüchse gegeben. Für mich ist der klassische Sündenfall, die Umsetzung der Harz-Gesetze und ihre praktische Handhabung. In Bezug auf das Thema dieses Fadens halte ich für ganz wichtig, dass den privaten Investoren ein enger gesetzlicher Rahmen gesetzt wird. In Bezug auf MVZ erfolgt dies ja schon teilweise.
Timbatuku Für Anhänger des Kapitalismus ist das natürlich der GAU, aber mal ehrlich, es geht hier um die Gesundheit der Bevölkerung, wieso wäre es da so frevelhaft, wenn der Staat in gewissem Maße Steuergelder zuschießen würde?
Kapitalismus ist doch insoweit nur ein Etikett wie Sozialismus, ich halte es für relativ sinnentleert, diesbezüglich bei uns die dogmatischen Schlachten von Vorvorgestern zu schlagen. Aber zu deiner Frage, ich halte es natürlich überhaupt nicht für "frevelhaft", wenn der Staat insoweit Steuergelder zuschießen würde. In Fragen der Daseinsfürsorge ist das wohl auch zwingend nötig, da ansonsten erforderliche Leistungen nur für diejenigen erbracht würden, die es bezahlen könnten. Das widerspricht diametral dem Gesellschaftsbild, das ich mir vorstelle.
Timbatuku Nun, du hast offenbar den von mir verlinkten Beitrag nicht gelesen. Schade. Ein Zitat daraus: "In Sitzungen des Gesamtbetriebsrats wurde berichtet, dass Reparaturen ausblieben, Investitionen auf Eis gelegt wurden. Die Zeiten für die Reinigung wurden herabgesetzt, die Teams reduziert." Es ist offenbar so, dass gerade das Gewinnstreben dazu führt, dass Bau und Modernisierung von Pflegeeinrichtungen unterbleiben. Das ist im Übrigen nicht umwerfend neu. Ich las mal über die britische Eisenbahn, die unter Thatcher privatisiert wurde, dass auch dort Investitionen, Modernisierungen und Reparaturen durch den Investor ausblieben und als durch die inzwischen marode Infrastruktur sogar Unfälle sich häuften wurde die Eisenbahn inklusive maximalem Investitionsstau an den Staat zurückgegeben. Dieses "Privat vor Staat", was seit den 80er Jahren propagiert wird, ist eben auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Du wirst lachen, Timba, ich habe den Artikel gelesen, komme aber zu anderen Schlüssen. Natürlich glaube ich den Ausführungen des Gesamtbetriebsrates in diesem konkreten Fall, jedoch sind mir auch die enormen Investitionen bekannt, die von kleinen und großen Investoren gerade im Bereich Bau von Pflegeheimen erfolgen, ohne diese Investitionen hätten wir diesbezüglich bereits einen echten Notstand. Im Gegensatz zu dir glaube ich nämlich nicht, dass bei Fehlen dieser privaten Investitionen der Staat dies ausgeglichen hätte. Man sieht es doch beim Wohnungsbau, keiner hat den Staat (Bund, Länder und Kommunen) gezwungen, sich immer mehr zurückzunehmen, vielmehr hat er jede Möglichkeit massiv Wohnraum zu schaffen, er macht es nur nicht. Er macht es schon seit vielen Jahren nicht, obwohl der Wohnraum fehlt und die Mieten explodieren. Nö, Timba, ich vertraue diesbezüglich nicht auf den Staat. Da halte ich private Investoren für berechenbarer. Man muss ja deren Investitionsintentionen nicht mögen, das sehe ich recht schmerzlos und ergebnisorientiert. Man muss ihnen aber zwingend im Bereich der Daseinsvorsorge enge Grenzen durch die entsprechenden Regularien setzen. Hieran hat es in der Vergangenheit stark gefehlt.
Bitte versteh mich nicht falsch, ich persönlich habe schon einiges an Bauchschmerzen, wenn ich sehe, welche Akteure an Finanzinvestoren in unseren Gesundheitsmarkt drängen. Dies umso mehr, da ich mit einigen der von dir so liebevoll "Heuschrecken" genannten bereits beruflich zu tun hatte. Letztlich müssen diese aber durch einen geregelten Markt "eingebremst" werden und hierin sehe ich insoweit die große Aufgabe der Politik.