Doc_Schüller Wenn ich die Atmosphäre in einem städtischen Umfeld betrachte, dann gibt es für mich zwei Gegenpole: Zum einen belebte Innenstädte bzw. Stadtteilzentren, zum anderen Trabantenstädte, in denen man von gelegentlichen Hunde-Gassi-Gehern kaum Menschen auf den Straßen sieht. Und bei den belebten Orten ziele ich zunächst mal weniger auf die Touristen ab, also nehmen wir Orte, bei denen sich der Tourismus im Rahmen hält.
Zumindest, was mich betrifft, so habe ich bewusst einen Stadtteil gesucht, der ruhig ist. Voll ist es ja in der Regel sowieso nur in der City, weil sich nunmal alles befindet, auch wenn die Geschäfte zu sind. Theater, Ausstellungen, Musikveranstaltungen, etc. - das meiste konzentriert sich dort, wobei es natürlich auch alles in einer gemäßigten Ausgabe außerhalb der City gibt - für Leute, wie mich.
Doc_Schüller Ich persönlich, und ich vermute mal, ich bin da nicht alleine, ziehe die belebteren Orte vor.
Eben. Du ziehst die belebten Orte vor, wobei man da noch belebt definieren müsste. Ich z. B. ziehe es vor, wenn es nicht so viele Leute gibt. Eines der Vorteile von Corona sehe ich darin, dass es diese Ströme von Touristen nicht gibt, wobei es eben nie alle Bezirke sind und man da gut ausweichen kann. Mir ist ein kleines Theater lieber als ein Burgtheater oder eine Staatsoper und wenn, dann gehe ich unter der Woche in die Burg, weil ich weiß, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass es da viel weniger Leute gibt und in der Regel ist es auch so. Ich sehe darin auch keine Begegnung, zumindest nicht mehr als in den Öffentlichen und das ist für mich keine Begegnung. Es sind viele Menschen unterwegs, die sich keinesfalls für andere interessieren, sondern ihrer Wege gehen. Das habe ich bisher nur in einem Dorf erlebt, dass es Begegnungen gibt. Ja, da kennt jeder jeden und man kann keinen Pups machen, ohne dass es der Nachbar und damit gleich das ganze Dorf erfährt. Genauso nervig. Logischerweise - wenn ich es mir aussuchen könnte - wäre es also eine Kleinstadt, die meine Bedürfnisse erfüllen könnte. Trotzdem nicht so pauschal, denn es wird unter allen solche und solche geben. Wenn es jetzt also keine Einkaufszentrem mehr gäbe - na, juhu, aber wenn sie bleiben, von mir aus. Ich muss ja nicht hingehen. Im Moment ist der ganze Handel geschlossen und wenn ich auf die Mariahilfer Straße gehe, ist sie pumpvoll, kaum weniger Leute unterwegs, als bei offenen Geschäften. Ich habe mich gefragt, was die Leute da alle tun? Es ist mir schleierhaft, warum sich trotzdem alle nach wie vor auf diese Einkaufsstraßen konzentrieren, obwohl die Geschäfte zu sind. Als die Geschäfte das erste Mal geöffnet wurden, aber keine Gaststätten, meinten viele Leute, dass es ihnen so nicht viel Spaß macht zu shoppen. Viele gehen lieber gar nicht. Bestellen müssen im Moment schlicht alle, die etwas brauchen und es sich leisten können. Das heißt für mich nicht unbedingt, dass es so viele sein werden, die sich daran gewöhnen, dass die Einkaufszentren plötzlich nicht mehr gebraucht werden. Amazon, Zalando und & sind ja nicht erst zu Corona aus der Erde gewachsen. Genauso gab und gerade seit Corona gibt es die Leute, die bewusst regional bestellen, auch wenn sie nicht hingehen können.
Welche Nachfrage das Angebot nach Corona bestimmen wird, werden wir ja sehen. Auch wenn 30 % der Büroräume wohl nicht mehr gebraucht werden, so ist auch das, wie alles andere nicht gleichmäßig verteilt. Es gibt Unternehmen, die jetzt schon kein Homeoffice wollen und andere, die schon vorher dafür offen waren und sehen, welche Vorteile es für sie zusätzlich hat.
Eine meiner Freundinnen ist ganz unglücklich damit, dass der Handel zu ist, weil sie es gewohnt ist, in die City zu gehen, durch die Geschäfte zu gehen. Wie schon erwähnt, mich kann man damit jagen. Wenn ich nichts brauche, dann laufe ich auch nicht durch die Geschäfte.
Doc_Schüller Da stellt sich die Frage, warum manche Orte belebter sind als andere. Häufig spielen dabei Geschäfte eine wesentliche Rolle, viele Innenstädte sind stark auf Menschen ausgerichtet, die einkaufen wollen. Was aber, wenn wir in Zukunft nur noch online einkaufen? Wie könnten wir unsere zentralen Orte der Begegnung erhalten? Wie müsste öffentlicher städtischer Raum aussehen, damit wir ihn trotzdem besuchen, auch wenn wir keine Einkäufe tätigen müssten? Neben Geschäften gab es an diesen Orten ja bisher auch schon Dienstleister wie Friseure, Restaurants und Kneipen, Kulturangebote wie Galerien und Kinos, mitunter Verwaltung wie Rathaus (Bürgerbüro), etc.
In Wien gibt es auch viele Einkaufsstraßen, die Touristen nicht aufsuchen und trotzdem sind die einfach voll, immer noch zu voll für mich, wenn es um den Freitag oder den Samstag geht. Es ist einfach das Bedürfnis der Leute alles halbwegs Raumnah zu finden. Ich wäre nicht gerade erfreut, wenn ich für eine Waschmaschine eine Stunde fahren müsste und dann mal in einer Schlage von 20-30 Leuten stehen muss, was auf den bekannten Einkaufsstraßen durchaus der Fall ist. Aber auch Leute, die gerne Einkaufen werden sich ein Geschäft suchen, wo es nicht so viel Andrang gibt. Der Shopping-Spaß geht verloren, wenn es zu lange Schlangen gibt.
Doc_Schüller Bisher beobachte ich an vielen innerstädtischen Orten erst einmal nur zunehmenden Leerstand. Kleine Buchläden, die von älteren Inhabern geführt werden, schließen, sobald diese das Rentenalter erreichen. Nachfolger finden sich verständlicherweise keine, da man von den Einnahmen eines solchen Ladens keine Familie ernähren kann. Gleiches gilt für Geschäfte für Haushaltswaren, Haushaltsgeräte, Bekleidung, mitunter auch kleinere Apotheken, Läden für Zeitschriften und Schreibbedarf etc. pp. Mitunter sieht man erste Tendenzen zur Umwandlung der freigewordenen Räumlichkeiten in Wohnraum.
Naja, ich denke, dass es durchaus etwas mit der Demografie zu tun hat, dass es einfach generell viel weniger junge Leute gibt und nicht unbedingt, dass es weniger Leute unter den jüngeren, die selbständig arbeiten wollen.
Doc_Schüller Ich vermute mal, das ist ihm selbst auch nicht so recht klar. Aber trotzdem kann man ja mal seine Sichtweise aufgreifen, sprich, nicht einfach zu versuchen, die aktuelle Entwicklung aufzuhalten, sondern die grundsätzliche Änderung unseres Einkaufsverhaltens als gegeben zu akzeptieren und neue Angebote zu entwickeln, damit wir trotzdem einen Anreiz haben, unsere Wohnung zu verlassen und damit unter Menschen zu kommen.
Mein Einkaufsverhalten hat sich durch Corona nicht im geringsten verändert. Ich habe früher so viel wie möglich bestellt und werde es weiterhin tun, da ich Einkaufen gehen einfach hasse.
Doc_Schüller Ich denke allerdings, dass das Modell Einkaufszentrum sich in Zukunft nicht mehr vergleichbar rechnen wird, weder für den Investor, noch für die Stadt. Insofern könnte der Park in Zukunft wieder bessere Chancen bekommen, gerne auch kombiniert mit kleineren Geschäften, (Straßen-) Cafés etc. Wenn dann noch ein gemäßigter Tourismus mithilft, das Überleben dieser Angebote zu sichern, habe ich nichts dagegen.
Hier in Wien gibt es oft auf jeden Schritt kleine Restaurants. Natürlich wechseln die Besitzer ständig. So viele Restaurants können einfach gar nicht überleben. Gerade in den Branchen, in denen es leicht ist, sich selbständig zu machen, zeigt sich das schon jeher, dass sich viele einfach nicht etablieren.
esta1 Etwas schwierig im Kapitalismus. Ich habe es im Prenzlauer Berg, in Kreuzberg und auch hier wo ich jetzt wohne, beobachtet. Alternative Ideen sind jede Menge vorhanden.
"Hippe" Straßen gibt es auch hier. Das funktioniert natürlich nur dann, wenn es nicht zu viele davon gibt und sie so hipp sind, dass die Leute auch hinfahren, wenn es weiter weg ist. Zumindest hier in Wien ist es so, dass sich letztlich die meisten in ihrem eigenen Bezirk bewegen. Wüsste ich nicht, dass ich in Wien wohne, könnte man meine Umgebung als kleinstädtisch definieren. Es gibt ein kleines Schmuckgeschäft, das ich im Jahr tatsächlich 2x besuche, weil es so künstlerisch und außergewöhnlich ist. Es gibt sicher mehr solcher Geschäfte, aber dafür ist mir meine Lebenszeit zu schade, die nun zu suchen und sie aufzusuchen. Ich fahre nicht ans andere Ende der Stadt, um etwas zu kaufen, zumindest nicht oft und wenn es nicht vermeidbar ist. Sonst gehe ich natürlich in die Nähe.
esta1 Das Viertel wo ich jetzt wohne war runter gewirtschaftet, die Mieten war billig, es hat daher viele kreative Menschen angezogen. Und die haben das Viertel attraktiv gemacht, viermal im Jahr gab es ein Stadtteilfest, da haben die Mieter selbstgebackenen Kuchen verkauft oder Trödel, es wurde gegrillt, es gab einen Umzug, alles bescheiden, aber mit Charme. Die Gegend wurde attraktiv!
Ich finde, dass das ein völlig normaler Ablauf ist. Mal ist dieser Stadtteil, mal ein anderer hipp. Irgendwann ist man am Zenit angelangt und dann kann man nur versuchen, es zu halten oder es geht abwärts und woanders geht es gerade aufwärts, weil man den Zahn der Zeit trifft. Ich kann mich erinnern, vor 40 Jahren war der Mexikoplatz für gewisse Schichten ausländischer Besucher das Non Plus Ultra. Heute kräht kein Hahn mehr danach.